Liebe Leserinnen und Leser,
erstmal ein Wort zum Volksentscheid Klimaneutral 2030 in Berlin: eine knappe Mehrheit, viele hunderttausende Menschen haben für ein sehr ambitioniertes Klimaschutzgesetz gestimmt, das Quorum wurde nicht erreicht. Eine nun nicht rechtliche, wohl aber politische Verpflichtung. Dieser kommt der heute von den CDU und SPD vorgestellte Koalitionsvertrag nicht nach. Zwar wird etwas Geld und noch mehr Tinte auf Papier in Aussicht gestellt. Aber ansonsten? Es wird so getan, als wäre nichts passiert. Surreale Planungsorgien für den ÖPNV ohne Zug zum Tor (einfach mal alles prüfen) sind angekündigt, bei der A100, 17. BA gibt es einfach gar keine Haltung, die TVO soll fett gebaut werden, der Radentscheid wird zurückgedreht - beim Radverkehr wird ein Rollback angekündigt - immerhin wird das Mobilitätsgesetz nicht gleich ganz in Frage gestellt. Der Flurfunk behauptet: Manja Schreiner wird Verkehrssenatorin: auf Twitter meint sie per angeheftetem Tweet, dass „die Bürger andere Probleme hätten … als Vorfahrt fürs Fahrrad.“ Na dann.
BÄM! Neuwagen ab 2035 EU-weit nur noch klimaneutral!
Ab 2035 gilt es nun: als Neuwagen werden nur noch klimaneutrale PKW zugelassen. Damit kommt dem Hochlauf der Elektromobilität nun entscheidende Bedeutung zu. Das vorausgegangene Hin-und-Her - ausgelöst durch bemerkenswerte FDP-Schwenks trotz anderslautender Verabredungen, bei schweigender Hinnahme durch den SPD-Kanzler, mit im Ergebnis hoffentlich nur kurzfristigem diplomatischem Schaden auf EU-Ebene - ist beendet. Sorry für den Bandwurm-Satz. Ein paar Nebelkerzen namens E-Fuels hängen auch noch in der Luft. Im Koalitionsausschuss hat Verkehrsminister Wissing zugesagt, den Hochlauf der Elektromobilität mit 15 Mio. PKW bis 2030 voranzutreiben und insbesondere den Masterplan Ladeinfrastruktur umzusetzen - denn da hängt es aktuell. Die Debatte zum Koalitionsausschuss hat das verdeckt: Die Vorgabe 2035 ist der entscheidende Meilenstein bei der Antriebswende. Nun können sich Industrie und Verbraucher*innen darauf einstellen - und umstellen.
Nachlese Koalitionsausschuss - oder: wider dem Schön- und Schlechtreden
Kopfweh? Nun, nüchtern betrachtet ist der Beschluss des Koalitionsausschusses erstmal nur: geduldiges Papier. Für ungeduldige Menschen also schwierig. Hinzu kommen dann noch die eine oder andere stilistisch bemerkenswerte Formulierung, vieles in Wiederholungsschleife (15 Mio. PKW, mehr Geld in Schiene statt Straße) und einiges an blumigem Wünsch-Dir-Was (Längliches zu E-Fuels).
Wenn viel von derlei drin steht, dann muss der Kern der vereinbarten Punkte herausgearbeitet werden. 200 EUR je Tonne CO2 als Kenngröße der LKW-Maut, von den erwarteten 6 Mrd. EUR jedenfalls 5 Mrd. EUR für die Schiene, die in Summe bis 2027 45 Mrd. EUR mehr bekommen soll (was eine Verdopplung der Schieneninvestitionen wäre). Das ist der konkrete Teil des Papiers - und das würde den Finanzierungskreislauf Straße endlich aufbrechen. Das wäre ein Meilenstein der Verkehrswende, der da vereinbart ist.
Neben LKW-Maut und Schienenprogramm etwa E-Bus- und Sharingförderung und StVG-Änderung. Wenn das erledigt ist, dann wird eine Anpassung des Klimaschutzgesetzes beraten - darüber wurde massiv berichtet. Zu Recht, denn das Thema ist mehr als sensibel. Allein: die Sektorvorgaben wird es weiter geben, das ist dem Text nun eindeutig zu entnehmen, die Anpassung wird natürlich in den engen Grenzen der Entscheidung des BVerfG erfolgen können. Auch da wird also noch einiges Wasser die Spree runtergehen.
Schwierigstes Signal des Ausschusses: diverse Autobahnerweiterungen sollen beschleunigt werden. Dazu allerdings muss VM Wissing nun das Einvernehmen der Länder herstellen, dass dafür Anwohner- und Umweltschutzbelange hinten angestellt werden könnten. Ausgang offen. Wissing hat hierfür zugesagt, nun endlich in den Dialog einzutreten über den Bundesverkehrswegeplan. Schauen wir mal, was da kommt - bislang war hier keine Bewegung drin.
Insgesamt lässt sich der Text so lesen: Statt der bislang leider wirkungslosen Zielvorgaben für das Verkehrsministerium wurden im Verkehrssektor jetzt diverse Maßnahmen festgeschrieben. Denn es bleibt wie es war: Der Verkehrssektor muss CO2 einsparen. Schnell, weil das in den letzten Jahren verschlafen wurde. Drum gilt, wie verwunderlich: dranbleiben.
Verkehrsministerkonferenz:
Kommunen bekommen mehr Spielraum für Tempo 30
Die Bundesländer sind sich über alle Parteigrenzen hinweg einig: Kommunen sollen leichter Tempo 30 anordnen können. Ein Schritt hin zu mehr Sicherheit und Lebensqualität in Städten und Gemeinden: weniger Lärm, bessere Luft, weniger Unfälle - bei weniger gefährlichem Straßenverkehr werden sich zudem mehr Menschen trauen, mit dem Fahrrad durch die Stadt zu fahren oder zu Fuß zu gehen. Das Verkehrsministerium ist gefordert und muss nun zeitnah einen Änderungsvorschlag für Straßenverkehrsgesetz und Straßenverkehrsordnung vorlegen - wie auch im Koalitionsausschussbeschluss erneut zugesagt.
Beste Grüße
Stefan Gelbhaar