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DOSSIER
Finanzierung des ÖPNV
Seit Jahren steigt das Verkehrsaufkommen in den Städten. Die Folge sind kilometerlange Staus auf den Straßen, schlechte Luft und zunehmende Platzkonflikte zwischen den einzelnen Verkehrsträgern. Es besteht mittlerweile ein breiter Konsens darüber, dass die Verkehrssituation in Städten an ihre Grenzen geraten ist und dringend Abhilfe geschaffen werden muss, um die Lebens- und Aufenthaltsqualität zu verbessern. Das Ziel ist klar und vielfach formuliert: Mehr Mobilität bei weniger (Auto-)Verkehr.
Doch Mobilität kostet am Ende immer Geld, egal ob die öffentliche Hand oder die Menschen vor Ort, die einen Teil der Kosten tragen müssen. Zum einen steigen die Ausgaben für Personal und Kraftstoffe sowie Betriebsmittel, zum anderen weist die Infrastruktur hohen Erhaltungskosten auf. Auch Modernisierungskosten durch die Digitalisierung oder gesetzlich festgelegte Herstellung vollständiger Barrierefreiheit werden in den kommenden Jahren weiter steigen. Insbesondere die immer wieder aufkeimende Debatte über einen kostenlosen Öffentlichen Personennahverkehr oder das sogenannte 365-Euro-Ticket (Jahreskarte) verstärken die Diskussion über eine dauerhafte und nachhaltige Finanzierung des Verkehrssystems aus Bus und Bahn.
Ein komplexes Konstrukt
Das System aus Bus und Bahn wird in Deutschland zum einen durch die Einnahmen aus dem Ticketverkauf an die Fahrgäste und zum anderen durch die öffentliche Hand (Bund, Länder, Kommunen) finanziert. Während der Bund bisher ausschließlich den Ausbau in- und Erhalt der Infrastruktur bezuschussen darf, sind die Länder und Kommunen als sogenannte Aufgabenträger für den Betrieb des ÖPNV zuständig. Die Frage nach den konkreten Zuständigkeiten und der damit verbundenen Finanzierungsaufgabe ist hoch politisch.
Ideen zur Finanzierung - Voraussetzungen
Wie so oft gibt es kein Allheilmittel, das singulär die Finanzierungsherausforderungen des ÖPNV lösen kann. Dies zeigt auch die Erfahrungen aus anderen europäischen Städten, wie Wien, Stockholm oder London. Vielmehr muss ein individueller Mix verschiedener Finanzierungsquellen in den Ländern und Kommunen zusammengestellt werden. So kann einerseits die Finanzierung gerecht auf mehreren Schultern verteilt werden. Andererseits kann das Ziel der Erhöhung der Fahrgastzahlen im ÖPNV und der Verminderung des individuellen Autoverkehrs erreicht werden. Perspektivisch muss auch über eine Mitfinanzierung des Betriebs des ÖPNV durch den Bund diskutiert werden. Allerdings beginnt diese Debatte gerade erst, inwieweit künftig der Bund auch den Betrieb von ÖPNV mit finanzieren kann und soll - analog zu den Regionalisierungsmitteln für den Regionalverkehr. Die Verkehrsverlagerung auf Bus und Bahn ist jedenfalls ein wesentlicher Baustein, um die national gesteckten Klimaschutziele im Rahmen des Pariser Klimaschutzabkommens einzuhalten. Aus diesem Grund kommt dem Bund als Vertragspartner hierbei eine entscheidende Rolle zu.
Ideen zur Finanzierung - Nahverkehrsabgabe
Ideen zur Finanzierung - City-Maut
Die City-Maut ist eine Gebühr, die von Autofahrenden zu entrichten ist, um die Verkehrsinfrastruktur in einem bestimmten Gebiet nutzen zu können, für das die City-Maut gilt. Die eingenommenen Gebühren können dann beispielsweise dem Ausbau des ÖPNV-Angebots zur Verfügung gestellt werden.
Ideen zur Finanzierung - Parkraumbewirtschaftung
Beispiele unserer europäischen Nachbarn
Forum Mobilität und Geld – Was funktioniert wirklich?
Januar 2020 | Ein Erfahrungsaustausch im Bundestag
Im Rahmen eines regelmäßigen Bund-Länder-Treffens diskutieren grüne Verkehrspolitiker*innen aus dem Bundestag mit einer Reihe grüner VerkehrspolitikerInnen aus den Bundesländern zu aktuellen verkehrspolitischen Themen. Im Anschluss finden verschiedene Fachforen statt. An diesen Foren nimmt neben den LandespolitikerInnen auch eine breite Fachöffentlichkeit teil. In diesem Jahr habe ich mit rund 25 TeilnehmerInnen über künftige Finanzierungsmöglichkeiten des Öffentlichen Personennahverkehrs gesprochen. Dabei sind viele interessante Ideen erörtert worden.
Angebote ausbauen statt nur symbolisch Preise senken
Zunächst stand die übergeordnete Frage im Raum: Wofür muss konkret Geld ausgegeben werden und wo kommt dieses Geld her? Schnell herrschte unter den Teilnehmenden ein Einverständnis, dass die Einführung des 365-Euro-Tickets zwar aus Sicht der Fahrgäste eine populäre Maßnahme ist, die Finanzsituation der öffentlichen Verkehrsunternehmen aber erheblich unter Druck setzt. Die meisten öffentlichen Verkehrsunternehmen können sich keine massiven Ausfälle durch sinkende Fahrscheinerlöse leisten. Diverse Umfragen und Studien haben zudem herausgefunden, dass nicht allein der Preis für die Verkehrsmittelwahl ausschlaggebende ist, sondern vor allem auch das Angebot und deren Zuverlässigkeit Das heißt, Investitionen in die Erweiterung der Kapazitäten und der Infrastruktur sind langfristig sinnvoller, um mehr Menschen vom Umstieg in den ÖPNV zu überzeugen, als nur preisgünstige Tarife mit Symbolkraft anzubieten.
Parkraumbewirtschaftung lohnt sich
Die Preise für Einzelfahrscheine, Gruppen- und Zeitkarten decken die Kosten des ÖPNV heutzutage nicht. Die Teilnehmenden meines Forums berichteten von ihren Erfahrungen auf kommunaler und Länderebene, die sie mit verschiedenen Finanzierungsoptionen des ÖPNV bereits gemacht haben. Viele der Teilnehmenden bewerteten die Nahverkehrsabgabe als eines der wirksamsten Mittel. Auch die flächendeckende Parkraumbewirtschaftung wurde vielfach positiv bewertet. Allerdings werden diese sogenannten „Pushmaßnahmen“ (Maßnahmen die einen Druck erzeugen sollen), wozu auch die City-Maut gehört, vielerorts noch nicht umgesetzt. Laut Aussagen der Teilnehmenden liegt dies vor allem an einer fehlenden einheitlichen Bundesgesetzgebung, die einen Rahmen vorgeben sollte in dem die Länder landeseigene Regelungen erlassen können, sodass sich keine kommunalen Flickenteppiche bilden.

In einigen Bundesländern und Städten werden bereits sogenannte „Pull-Maßnahmen“ (Maßnahmen, die Anreize setzen) eingeführt. Hierzu gehört unter anderem das LandesTicket aus Hessen. Ebenso eine Übernachtungspauschale, inklusive ÖPNV-Ticket für alle Stadttouristen nach dem Vorbild aus der Schweiz und dem Schwarzwald. Weitere Beispiele sind Kombitickets, welche die Fahrt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln direkt in die Theater- oder Kinokarte einschließen.
Resümierend stellten die Forumsteilnehmenden fest, wer die Finanzierung des ÖPNV verändert und mit Push- und Pull-Maßnahmen arbeitet, die die StadtbewohnerInnen, PendlerInnen und Touristen stärker einbezieht, darf nicht nur auf eine Maßnahme setzen. Für die Bürger*innen muss erkennbar sein, dass Push- und Pullmaßnahmen in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen und sich für sie selbst ein Mehrwert daraus ergibt. Dieser Mehrwert kann direkt sein in Form eines Bürgertickets und auch indirekt durch mehr Platz in der Stadt und weniger verstopfte Straßen. Auch muss der Mix aus z.B. einer Nahverkehrsabgabe, einem Zuschuss für das Monatsticket durch den Arbeitgeber sowie flächendeckender Parkraumbewirtschaftung für jede Kommune individuell zusammengestellt werden – eine Einheitslösung für das gesamte Bundesgebiet gibt es nicht, denn die Gegebenheiten vor Ort sind sehr unterschiedlich.
Erschließungspflicht für ÖPNV in Wohngebieten gesetzlich verankern?
Die Ideen der Teilnehmenden für eine Stärkung des ÖPNV und damit verbunden dessen Finanzierung gingen noch weiter. So wie heute bei der Erschließung neuer Wohngebiete der Anschluss an die örtliche Abwasserversorgung im Gesetz geregelt ist, sollte auch die Verkehrsanbindung an den ÖPNV, zum Beispiel durch eine „ÖPNV-Erschließungspflicht“ gesetzlich geregelt werden. Unter dem Satz: "Wohnen leitet Mobilität" hat der Verkehrsclub Deutschland hierzu eine Reihe von Projekten in den vergangenen Jahren angestoßen. Wenn solche Konzepte konsequent umgesetzt würden, könnte darüber nachgedacht werden, den Preis für eine Jahreskarte in den Wohnungsmietpreis zu integrieren. Heute wird oftmals nur der Auto-Stellplatz oder eine Garage vom Wohnungseigentümer zur Verfügung gestellt. Ebenfalls wurde die Idee in den Raum gestellt, sich bei der Höhe der Abgaben für die Finanzierung des ÖPNV am ökologischen Fußabdruck jedes Einzelnen oder auch von Unternehmen zu orientieren.
Mitfinanzierung durch Pendler*innen bleibt eine Herausforderung
Auch wurde die Einrichtung einer zentralen Stelle für die Organisation der Mobilität in der Stadt auf kommunaler Ebene kontrovers diskutiert. In London gibt es solch eine Organisationseinheit. Allerdings ist die Umsetzung solch einer Stelle in einer föderalen Struktur mit Straßen in unterschiedlicher Zuständigkeit (Bundes-, Landes und kommunale Straßen) komplizierter als in England.
Weitere Kontroversen gab es zum Thema Pendlerströme und die Herausforderung diese Gruppe einerseits in eine gerechte Finanzierung des ÖPNV in der Stadt einzubeziehen, sie andererseits aber aufgrund von Tarifgrenzen nicht mehr zu belasten. Zudem gibt es Regionen in denen die Menschen auf das Auto auch weiterhin angewiesen bleiben.
Weitere Aktivitäten im Bundestag
Getreu dem Motto „Wenn du nicht mehr weiterweißt, bilde einen Arbeitskreis“ kündigt das BMVI an, ein neues Bündnis für moderne Mobilität zu gründen. Dies soll sich vor allem mit nachhaltigen Mobilitätslösungen und neuen Finanzierungsquellen für eben diesen beschäftigen.
Zwei weitere kleine Anfragen zum „Bündnis für moderne Mobilität“ zeigen, dass weiterhin nichts passiert, als warme Worte auszutauschen.
07.11.2019 | Kleine Anfrage: Themen & Teilnehmende Bündnis moderne Mobilität (mit Antwort) (PDF)
Meine Mündliche Frage im März 2020 zeigt, dass die Bundesregierung in dieser Legislaturperiode nicht vor hat, bundeseinheitliche Regelungen zu schaffen, um die Einführung einer Citymaut für die Kommunen zu vereinheitlichen. Die Finanzierung des Ausbaus des ÖPNV wird damit weiterhin vor allem auf den Schultern der Kommunen abgeladen.
04.03.2020 | Mündliche Frage | Einführung City Maut auf Bundesebene (mit Antwort) (PDF)
Zusammenfassung
Die Finanzierung des ÖPNV erinnert oft an das Henne-Ei-Problem. Die Frage, ob erst eine Angebots- und Kapazitätserweiterung finanziert werden muss oder erst die Fahrgastzahlen steigen müssen, ist noch nicht abschließend geklärt. Klar ist aber, dass es ein Mix aus verschiedenen Maßnahmen braucht, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten angegangen werden sollten, um die BürgerInnen und das Verkehrssystem nicht zu überfordern. Das Beispiel Wien zeigt, dass eine neue Ausrichtung der Verkehrspolitik nicht singulär gedacht werden sollte, sondern mit anderen Themen wie der lebenswerten Stadt zusammengedacht und geplant werden müssen, um ein positives Gesamtbild zu erzeugen und Einschnitte für den Einzelnen erklärbar zu machen. In Hinblick auf eine zukunftsfähige Verkehrs- und Stadtentwicklung ist es wichtig, Verkehrsdaten öffentlich zugänglich zu machen.
Weitere Links
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Schleswig-Holstein hat Sondervermögen aus nicht verbrauchten Regionalisierungsmitteln gebildet, um wichtige Infrastrukturprojekte insbesondere des Schienengebundenen Nahverkehrs zu realisieren.
Aktuelles
Einer der wesentlichen Finanzierungsquellen für mehr ÖPNV liegt in der Parkraumbewirtschaftung und den damit verbundenen Einnahmen. Das Thema Parkraummanagement ist darüber hinaus mit weiteren Fragen nach der Gestaltung des knappen Gutes öffentlichen Raums in der Stadt verbunden. Aus diesem Grund habe ich unsere Forderungen in einem Antrag über das Thema Parkraummanagement einmal zusammengefasst.
Studien zur ÖPNV-Finanzierung