Liebe Leserinnen und Leser,
der Sommer war heiß und vor allem trocken, fast ist man geneigt zu sagen: die Ostsee ist das neue Mittelmeer. Ostsee = Mittelmeer? Das birgt durchaus Spuren von „nicht so schlimm, nehme ich“. Tatsächlich hat das aber dramatische Konsequenzen und wir stellen fest, dass es der nächste zu trockene Sommer war, es eben nicht mehr nur Wetter ist, sondern die Klimakrise voranschreitet. Das prägt diesmal auch den Newsletter.
Für eine Trendwende gäbe es große Potentiale im Verkehrssektor - so fand z.B. das 9-EUR-Ticket breite Zustimmung und hat auch zu einem Rückgang des KfZ-Verkehrs geführt. 9 EUR - das hat die Debatten geprägt, auch im Bundestag. Nicht nur beim so wichtigem Thema der ländlichen Mobilität wurde in dieser Woche nicht mehr die x-te Straße gefordert - sondern mehr Bus und Bahn. Sogar von der CDU/CSU. In allen Haushaltsreden stand der ÖPNV im Mittelpunkt, eine bemerkenswerte und überfällige Diskursverschiebung.
Umso wichtiger ist es nun, ein günstiges wie einheitliches Nachfolgeangebot einzuführen. Und damit zu den aktuellen Themen im Bundestag:
Klimaschutz im Verkehr - Gutachten zum Sofortprogramm
Der Verkehrssektor verfehlt seine Klimaschutzziele seit Jahren, so auch im Jahr 2021. Entsprechend des Klimaschutzgesetzes musste Verkehrsminister Wissing daher bis zum Beginn des Sommers ein Sofortprogramm vorlegen, das anschließend von einem Expert*innenrat geprüft wurde. Dieser hat nun mitten im August zurückgemeldet, dass die vorgeschlagenen Maßnahmen bei Weitem nicht ausreichen, den Verkehr auf den richtigen Weg - geschweige denn auf den 1,5 Grad Pfad - zu bringen. Nüchtern formuliert. Im Klartext hat der Rat die Prüfung des Papiers aus dem Verkehrsministerium verweigert, weil die vorgeschlagenen Maßnahmen so dünne waren.
Die Koalition hat sich darauf verständigt, die Klimaziele von Paris einzuhalten. Nur unter dieser Prämisse haben viele Bündnisgrüne dem Koalitionsvertrag zugestimmt. Wissing muss nun die verweigerte Arbeit nachholen und ein Papier mit konkreten und untersetzten Maßnahmen vorlegen, die tatsächlich die nötige Wirkung zeigen. Zur Auswahl hätte er Einige, etwa im Rad- und Fußverkehr, bei Bus und Bahn, Anreize zum Umstieg vom Auto auf andere Verkehrsmittel, in Sachen Antriebswende, durch mehr Güter auf die Schiene und vor allem auch: den Abbau teurer klimaschädlicher Subventionen. Ein Klimaschutz-Sofortprogramm im Verkehrsbereich muss sich an dem Dreiklang Verkehr zu vermeiden und zu verlagern sowie die Antriebswende umzusetzen, orientieren.
Auch der Haushalt 2023 muss die Klimaziele voranbringen
Diese Woche wird der Haushalt für das Jahr 2023 im Bundestag eingebracht. Der Verkehrshaushalt stellt mit enormen finanziellen Investitionen wichtige Weichen für die Zukunft. Deswegen schauen wir genau darauf, was Verkehrs- und Finanzministerium da mit dem Haushaltsentwurf vorschlagen. Wie alle politischen Entscheidungen dieser Koalition muss sich auch der Verkehrshaushalt am Pariser Klimaziel messen lassen. Der Regierungsentwurf ist klar zu schwach, um die Klimaziele im Verkehr künftig erreichen zu können. Deshalb muss hier nachgearbeitet werden. Erste Arbeit hat der Koalitionsausschuss am Wochenende gemacht, mit 1,5 Mrd. Euro für attraktive Nahverkehrstickets, wenn die Länder das gleiche dazu geben und 1,5 Mrd. Euro für den Ausbau der Schiene. Im Bereich der Regionalisierungsmittel und bei mittel- und langfristigen Investitionen in Radverkehr muss nachgearbeitet werden. Geld einsparen könnte man bei längst überholten Autobahnprojekten wie der A100 und bei klimaschädlichen Subventionen. Das wäre gleich dreifach sinnvoll: um unnötige Schulden zu verhindern, um Geld sozial gerechter auszugeben und um klimafreundlicher zu investieren.
Erfolgreiches 9-EUR-Ticket - was folgt jetzt?
Selten hat eine einzelne politische Initiative so viele Menschen bewegt: Das 9-EUR-Monatsticket für den ÖPNV wurde bundesweit mehr als 50 Millionen Mal verkauft. Das Ticket hat damit sehr vielen Menschen mehr Mobilität zu einem enorm günstigen Preis ermöglicht. Tatsächlich sind auch mehr Busse und Bahnen gefahren. Das ist auch ausdrücklich notwendig und sinnvoll - dieses Mehrangebot wird von allen Parteien seit vielen Jahren immer wieder gefordert und war nun für drei Monate realisiert worden. Was muss jetzt folgen?
Immerhin gibt es Bewegung. Nach langem Zögern hat nun auch die FDP eine Nachfolge befürwortet, im Raum steht der 1.1.2023. Dafür gibt es einiges zu klären. Zum Beispiel die Finanzierung. Der Koalitionsausschuss der Ampel hat sich zu einer konditionierten Finanzzusage durchgerungen: 1,5 Mrd. EUR stehen bereit, wenn die Bundesländer zusammen die gleiche Summe aufbringen. Mit dann 3 Mrd. EUR ließe sich z.B. ein bundesweit gültiges 49-EUR-Ticket finanzieren. Die Bundesländer suchen hier nach einer Position, es wird Konferenzen der Verkehrsminister*innen und auch der Ministerpräsident*innen geben. Gut so. Ein Punkt machen einige Länder geltend, den ich teile: die im Koalitionsvertrag fixierte Erhöhung der sogenannten Regionalisierungsmittel, gerade angesichts der gestiegenen Energiepreise, ist notwendig. Und zwar, um das Bestandsangebot im Bereich von Regionalverkehr (Bundeszuständigkeit bei der Finanzierung) und Nahverkehr (Landeszuständigkeit bei der Finanzierung, der Bund gibt etwas dazu) zu erhalten und notwendigerweise auch auszubauen.
Aber bringt ein 49-EUR-Ticket überhaupt etwas? Oh ja. Selbst in einem so großen Verkehrsverbund wie dem VBB (Berlin-Brandenburg). Das ABC-Ticket würde preislich massiv günstiger werden, aber vor allem: die Grenzen zwischen den Tarifzonen würden entfallen. Und damit würden viele Pendlerinnen und Pendler eben nicht mehr z.B. mit dem Auto in den B-Bereich fahren, um nur das AB-Ticket bezahlen zu müssen. Sondern eben schon den nächstgelegenen sinnvollen Bahnhof nutzen. Wenn denn ausreichend Bahnen fahren. Das könnte vielerorts den Straßenverkehr gerade in der Rush-Hour entspannen helfen. Und dadurch das Klima schonen.
Bleiben Sie gesund
Stefan Gelbhaar